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Fünf Fragen an Jan-Michael Kühn

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»Ohne diese Orte gäbe es die Musikszene nicht…«

stadtnachacht im Interview mit Jan-Michael Kühn


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SNA: Assoziieren Sie den Begriff Nachtleben eher mit Kultur oder mit Ökonomie?

Kühn: Sowohl, als auch. In der Stadt, und in der individualisierten Spätmoderne existieren beide Idealisierungen in einem engen Wechselverhältnis, ohne sich ineinander aufzulösen.


SNA: Die Attraktivität des Nachtlebens einer Großstadt wird oft als Urbanitätsfaktor schlechthin angesehen. Welche räumliche Dimension hat der Begriff Nachtleben für Sie?

Kühn:Das Nachtleben im Techno-Kontext findet – in seiner primären Rezeption als clubbasierte Tanzmusik – hauptsächlich in dafür speziell hergerichteten ästhetisierten Orten (Clubs, aber auch Parks, Festivalgelände) statt. Ohne diese Orte gäbe es die Musikszene nicht. Interessant finde ich hier den Begriff »Nachtleben«: In Berlin tanzt man nämlich schon länger gar nicht mehr unbedingt nachts, sondern vermehrt tagsüber, schläft aus, geht brunchen, und dann nachmittags auf eine House/Techno-Party.


SNA: Welche Rolle spielen konkret Stadtplanung und Stadtentwicklung(-spolitik) im Themenfeld Stadt, Nachtleben und Nachtökonomie für Sie?

Kühn: Stadtplanung und Stadtentwicklung schaffen und verändern die Rahmenbedingungen der Akteure des Nachtlebens.

Wichtig ist was unter Nachtleben überhaupt verstanden wird: Wird es in neoliberaler Manier zu einem vermeintlich »kreativen« Wirtschafts- und Standortfaktor reduziert, drohen politische Ambitionen, die vorgeblich der Entfaltung und dem Schutz von subkulturellem Nachtleben dienen, eher aber die Rahmenbedingungen für ein attraktives Nachtleben schleichend verschlechtern.

Die Grundlagen subkulturell-szenebasierten Nachtlebens sind sehr fragil und widersprechen strukturell auch anderen politisch-ethischen Willensbekundungen: z.B. dem Ruf nach Gleichheit oder Gerechtigkeit.

Im Kern geht es, vor allem bei House & Techno, um die Reproduktion besonders verführerischer typischer Ästhetik. Anstatt die fragilen Grundlagen von subkulturellem Nachtleben zu befördern, drohen mit einer auf wirtschaftliche Fragen reduzierten Politik Entästhetisierungs- und Entsubkulturalisierungsprozesse, eine zunehmende Kommerzialisierung sowie kulturelle Verbürgerlichung.

 

SNA:Welches sind vor Ihrem beruflichen Hintergrund die interessantesten Fragestellungen und Themen im Zusammenhang mit Stadt und Nachtleben?

Kühn: Warum macht gerade die Stadt subkulturelles Nachtleben wahrscheinlicher? Welche soziologischen Ursachen und Schlüsse lassen sich ziehen, welche historischen Stränge lassen sich dafür als ursächliche Konstellationen destilieren und wie hängen diese zusammen? Dass Techno als Clubkultur sich in Berlin um die Wendezeit popularisierte und woanders nicht, hängt z.B. sehr bedeutsam mit den politischen Umwälzungen und weltweiten Konstellationen nach dem zweiten Weltkrieg zusammen.

 

SNA: Welche Akteure sind in diesem Zusammenhang für Ihre Arbeit besonders wichtig, wo gibt es bereits Kooperationen und welche müssten evtl. noch verstärkt/aufgebaut werden?

Kühn: Meine Arbeit baut besonders auf der Hitzler’schen »post-traditionalen« Szenetheorie auf, den Ideen von jugendkulturellem Widerstand der Cultural Studies, und der Bourdieu’schen Feldtheorie. Leider ist mein Forschungsfeld eher exotisch, sodass zahlreiche Kooperationen, und vor allem Finanzierungen wissenschaftlicher Forschung, angestoßen werden sollten.

Über die wirtschaftlichen Strukturen der Szenewirtschaft, und generell szenebasierter Produktionsweise (im Unterschied zu kulturindustrieller), wissen wir tatsächlich sehr wenig. Da gibt es sehr viel zu explorieren, und das ist sehr wichtig: Denn so wie sich die gesellschaftlichen Produktionsmittel seit vielen Jahrzehnten entwickeln (Individualisierung, Senkung der Zugangsbarrieren zur Kulturproduktion, Subjektivierung von Arbeit), ist mit der generellen Zunahme und Ausdehnung szenebasierter Produktionsweisen zu rechnen.

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Jan-Michael Kühn ist Soziologe, DJ und Betreiber des Blog www.berlin-mitte-institut.de, der sich u.a. mit den sozio-ökonomischen Aspekten der House/Techno-Szene und Szenewirtschaft beschäftigt. Er ist Mitglied des Promotionskollegs »Die Produktivität von Musikkulturen« und promoviert derzeit mit dem Arbeitstitel »Szenewirtschaft und ästhetische Subkultur der (Berliner) Techno-Szene: Eine Erweiterung der Szenetheorie mithilfe von Subkulturtheorie und der Theorie kultureller Felder« an der TU Berlin.

(SN8 06.12.2012)

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